Der aromatisch riechende und bitter schmeckende Wermut ist ein buschiger, 30–80 cm (max. 120 cm) hoher Halbstrauch mit einer ausdauernden Sprosswurzel (Rhizom). Seine verzweigten, unten verholzten Stengel sind silbergrau behaart und haben winzige ölproduzierende Drüsen; ebenso wie die 2–3fach fiederspaltigen, bis 25 cm langen Grundblätter, welche nach oben hin kleiner werden. Die 3–4 mm großen, fast kugelförmigen grünlich-gelben Röhrenblüten stehen im Sommer (Juli/August, oft bis zum frühen Herbst) kurzgestielt und nickend an schmalen Rispen. Die 1–2 mm langen Früchte befinden sich in einer kleinen, länglichen Schließfrucht (Karyopse) und reifen im September/Oktober. Eine einzelne Pflanze kann bis zu 50.000 Samen produzieren.
Die Gattung Artemisia (Beifußgewächse) gehört zu den am weitesten verbreiteten Gattungen in der Familie der Asteraceae und umfasst rund 500 Arten, darunter ein- und zweijährige, mehrjährige und kleine Sträucher.
Der dem Wermut ähnliche und häufiger vorkommende Beifuß (A. vulgaris) wird größer (bis 2 m) und seine Stängel und Blüten schimmern oft rötlich-braun. Die Oberseite der Blätter ist dunkelgrün und nur die Unterseite weißfilzig. Bekannte Kräuter, die zu Heilzwecken oder als Nahrungsmittel dienen, sind z. B. A. annua (Einjähriger Beifuß); A. abrotanum (Eberraute); A. capillaris (Yin chen hao); A. cina (Wurmkraut), A. dracunculus (Estragon) und A. pontica (Römischer Wermut).
Im südlichen Mitteleuropa (Südostfrankreich, Südschweiz, Norditalien, Ungarn, Balkan) sehr stark ausgebreitet hat sich in den letzten Jahren die im Osten Nordamerikas heimische und mit dem Wermut verwandte Ambrosia (auch „Beifußblättriges Traubenkraut”, Ambrosia artemisiifolia), die mit ihren extrem aggressiven Pollen heftige Allergien bis hin zum Asthma auslösen kann. Bestände dieser Pflanze gibt es jetzt auch in Deutschland.
Ursprünglich in Asien, im Nahen Osten und in Nordafrika heimisch, hat sich der Wermut schon früh im Mittelmeerraum und in den wärmeren Gebieten Mitteleuropas ausgebreitet und ist heute selbst in Nord- und Osteuropa anzutreffen. Wildwachsend kommt er außerhalb Europas in Teilen Asiens (Indien, Pakistan, Afghanistan, Iran und Sibirien) vor. In Nordamerika wurde die Art 1841 eingeführt, verbreitete sich im Osten der USA und in Kanada und ist heute auch in Südamerika verbreitet.
Die wärmeliebende Pflanze wächst vor allem an sonnigen und mäßig trockenen Standorten auf einer Vielzahl von Böden, vorzugsweise auf lockeren, kalkreichen und nährstoffreichen Lehm- und Steinböden (neutral bis basisch: pH 5,5–8,5). Man findet sie zerstreut auf überweideten Wiesen und Feldern, auf Brachland, an Weinbergen und Felshängen und am Rand von Feldwegen und Straßen.
In gemäßigten Regionen wird der Wermut weltweit angebaut. Auf trockenen und stickstoffreichen Böden in etwas schattiger Lage lässt er sich leicht kultivieren. Außer „Unkraut” jäten (Konkurrenten entfernen) ist keine weitere Pflege erforderlich. Die Vermehrung erfolgt durch Samen (keimen am leichtesten im Herbst), Stecklinge oder Teilung der Wurzeln (alle 3 bis 4 Jahre im zeitigen Frühjahr). Auf natürliche Weise werden die kleinen Samen leicht durch Wind, Wasser und auch Tiere verbreitet; sie bleiben bis 4 Jahre lang keimfähig. Obwohl eingeschränkt winterhart, sollte man die Pflanze bei Frostgefahr bis über den Erdboden abschneiden und abdecken.
In Deutschland sind Freilandvorkommen des Wermuts bundesweit nicht bestandsgefährdet; regional ist die Art in einigen „Roten Listen” als gefährdet eingestuft.
Wermut kann auf Äckern als Begleitpflanze zur Unterdrückung von Unkraut verwendet werden, weil er über seine Wurzeln das Sesquiterpenlacton Absinthin absondert, welches das Wachstum von Nachbarpflanzen behindert – was jedoch nicht bei allen unerwünschten Gräsern funktioniert: bei diesen wird die Keimung nicht gehemmt (Beispiel: Stipa comata), sondern stimuliert (Stipa viridula) (Goud et al. 2015).
Wermut-Tee eignet sich als ökologisch unbedenkliches Spritz- und Schutzmittel gegen Befall mit Schadinsekten (z. B. Blattläuse).
Rinder meiden den Wermut wegen seines bitteren Geschmacks. Wird die Pflanze dennoch ungewollt gefressen, kann sie der Milch einen unangenehmen Geschmack verleihen.
Wermut ist eine uralte Heil- und Zauberpflanze, galt als universelles Allheilmittel gegen alle möglichen Krankheiten und dient zum Würzen der verschiedensten Speisen und Getränke (rheinisch: „Wermoot is för alles joot“).
Schriftlich erwähnt wurde Wermut bereits vor 3.500 Jahren im alten Ägypten. Im Altertum war er ein vielfältig verwendbares Arzneikraut (Berichte von Dioskurides und Plinius), u. a. gegen Pest, Cholera und als Wundmittel. In Mitteleuropa wurden seine Wirkungen im „Hortulus” des Benediktinermönchs Walahfrid Strabo (808–849) und ebenso bei Hildegard von Bingen (1098–1179) „aus langer Erfahrung” beschrieben. Schon im frühen Mittelalter verwendete man ihn bei Magenbeschwerden („Heilbitter”, „Magenkraut”), Verdauungsstörungen und Blähungen ebenso wie gegen Frauenleiden und zur Wundheilung; er war Bestandteil von Hexengebräu, diente der Zauberei (Dämonenabwehr) wie auch dem Totenkult und sollte Läuse, Wanzen und Motten vertreiben. Gegen Schlaflosigkeit wirkte er nachts in „Kräutermützen”. Damen wie Herren trugen in den nicht sehr sauberen öffentlichen Gebäuden Wermut- oder Lavendelsträußchen mit sich, an denen ab und zu gerochen wurde. So ertrug man nicht nur den Gestank, sondern hoffte, auch gegen Pest und Pocken geschützt zu sein.
In Tunesien wird das Kraut noch heute zur Herstellung eines Tees zur Unterstützung schwangerer Frauen bei Wehen verwendet (Msaada et al. 2015). Mit bitterem Wermut, der auf die Brustwarzen aufgetragen wurde, entwöhnten stillende Frauen ihre Babys. In Mexiko raucht man getrocknete Wermut-Blätter wegen der angeblich halluzinogenen Wirkung als Marihuana-Ersatz.
Die traditionelle Verwendung gegen Wurmbefall („Wurmkraut”) hat ihren Ursprung darin, dass man früher unter „Gewürm und Geschmeiss” alles Mögliche verstand. Eine Wirksamkeit gegen Darmwürmer ist jedoch nur eingeschränkt vorhanden und evtl. auf Inhaltsstoffe des ätherischen Öls zurückzuführen.
Artemisia (= alter griech. Frauenname) ist abgeleitet von Artemis, der griechischen Göttin der Jagd, Tiere und Natur. Ihr war der Wermut im Altertum geweiht. Den Namen Artemisia trug ebenso die Schwester (und zugleich Ehefrau) des persischen Königs Maussolos, der 367 v. Chr. die Hafenstadt Halikarnassos (heute Bodrum) zur neuen Hauptstadt Kariens machte und dort das Mausoleum – eines der sieben Weltwunder der Antike – errichten ließ. Als Ursprung des Artnamens absinthium wird griech. „apsinthos” (= unangenehm) bzw. „Apsinthion” (= nicht trinkbar) angenommen, was sich auf den bitteren Geschmack bezieht. Die Herkunft des deutschen Namens ist unbekannt. Im Alt- und Mittelhochdeutschen hieß der Wermut „wermuota” und „wermuot”, im Altenglischen „vermod(e)”.
Im Alten Testament wird der bittere Wermut mehrfach erwähnt; Beispiele: „…darum spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, also: Siehe, ich will dies Volk mit Wermut speisen und mit Galle tränken” (Jeremia 9:15) und „Er hat mich mit Bitterkeit gesättiget und mit Wermut getränket” (Klagelieder 3:15).
Wermut enthält Sesquiterpenlacton-Bitterstoffe, insbesondere das in der Bitter-Wahrnehmung dominierende Absinthin (0,20–0,28 %) neben 0,04–0,16 % Artabsin.
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil ist das ätherische Öl (0,2–1,5 %): dunkelgrün oder braun-blaufarbig enthält es 40–90 % Thujon, das in den beiden Isomeren 𝛼- und 𝛽-Thujon vorliegt, wobei der Anteil von 𝛽-Thujon überwiegt. Wichtige Wirkstoffe sind auch die enthaltenen Phenolcarbonsäuren (u. a. Kaffeesäure), Myrcen, Azulen, Flavonoide und Gerbstoffe.
Die Konzentrationen der zahlreichen Inhaltsstoffe unterscheiden sich in den einzelnen Teilen der Pflanze und können nicht nur saisonal (Lachenmeier et al. 2007), sondern auch regional (Msaada et al. 2015) stark schwanken. So verfügt die Pflanze über die meisten Bitterstoffe im September, während der höchste Gehalt an ätherischem Öl im Juni/Juli zu verzeichnen ist. Am größten ist die Konzentration an Bitterstoffen in den Sproßspitzen, am niedrigsten im Stengel.
Wermut weist verschiedene pharmakologische Aktivitäten auf, darunter antimikrobielle, insektizide, antivirale, hypoglykämische (= einer Unterzuckerung entgegenwirkende), hepatoprotektive (= Leber schützende), wundheilende, entzündungshemmende und kardiovaskuläre (= das Herz-Kreislauf-System betreffende) Erkrankungen und zeigte darüber hinaus ein breites Spektrum an Antioxidantien (vor allem Phenolverbindungen, Flavonoide) und Antikrebsaktivitäten (z. B. über Chlorogensäure) (Abb. aus El-Saber Batiha et al. 2020).
Die Bitterstoffe des Wermuts wirken appetitanregend und steigern die Magensäure- und Gallensaftproduktion, wodurch Verdauung und Nährstoffaufnahme erleichtert werden. Ihre Wirkung (u. a. Herzentlastung durch Erhöhung des Gefäßtonus; McMullen et al. 2015) entfalten sie über eine Erregung von Bitterrezeptoren der Geschmacksknospen an der Zungenbasis.
Das im ätherischen Öl enthaltene Thujon ist ein starkes Nervengift (Krampfgift), das in geringen Dosen anregend und in größeren giftig wirkt. Thujon kommt auch in der Thuja (Thuja occidentalis) vor, die als „Lebensbaum” bezeichnet wird und der Heckenbepflanzung dient. Therapeutisch hat das ätherische Öl keine Bedeutung.
Keine Anwendung bei Magen- und Darmgeschwüren! Zubereitungen aus Wermutkraut können in höherer Konzentration Vergiftungen hervorrufen (Erbrechen, Durchfall, Schwindel, Kopfschmerzen) und führen in hoher Dosierung zu Muskelkrämpfen, Bewußtlosigkeit und Lähmung. Der toxische Inhaltsstoff Thujon hat Suchtpotential und kann bei Langzeitanwendung ein Absterben von Hirngewebe bewirken.
Andererseits führt die Einnahme von Wermut über einen längeren Zeitraum oder in konzentrierter Form – was aufgrund der Bitterkeit erhebliche Überwindung kostet – zumeist zur Abneigung, was die Vergiftungsgefahr vermindert. Eine geringe Dosierung mit kurzer Anwendungszeit wird dagegen als unschädlich angesehen; auch Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Dennoch wird von einer Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit wie auch bei Kleinkindern abgeraten. Während der Schwangerschaft kann die Anregung der Gebärmuttertätigkeit zur Fehlgeburt führen. Empfehlungen der Homöopathie, nach denen das Kraut bei Menstruationsbeschwerden die Regelblutung verstärken und Schmerzen mindern soll, werden kritisch gesehen.
Wie angesichts der überlieferten Berichte über eine Steigerung der künstlerischen Inspiration in der Pariser Boheme zu erwarten war, ergaben Forschungen eine Förderung der kognitiven Fähigkeiten, und zwar durch Reizwirkung auf (Nikotin- bzw. Muskarin-) Rezeptoren des parasympathischen Nervensystems (Wake et al. 2000). Die Wirkung scheint sich jedoch auf eine niedrige Konzentration der Inhaltsstoffe zu beschränken, denn die gleichzeitige Verabreichung von Alkohol mit einer hohen Konzentration an Thujon beeinflusste die Aufmerksamkeitsleistung negativ. In diesem Fall nahm die Anzahl der korrekten Reaktionen im peripheren Aufmerksamkeitsfeld signifikant ab, wobei die Reaktionszeit und die Anzahl der „Fehlalarm”-Reaktionen signifikant zunahm (Dettling et al. 2004).
Wirkstoffe des Wermuts eröffnen neue Möglichkeiten der Behandlung von Depressionen. Absinthium–Extrakt hatte die gleiche antidepressive Wirksamkeit wie das Antidepressivum Imipramin, was u. a. auf einer selektiven Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme und der Hemmung von MAO (= Monoaminooxidase: fördert Abbau u. a. von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) in Kombination mit den im Extrakt enthaltenen phytochemischen Verbindungen zurückgeführt werden könnte (Martins, J. & S. Brijesh 2018; El-Saber Batiha et al. 2020).
Arzneidroge: Absinthii herba (Wermutkraut).
Die Wirkstoffe befinden sich in der ganzen Pflanze. Verwendet werden vor allem die zur Blütezeit gesammelten oberen Sprossteile und Laubblätter, frisch oder getrocknet.
Wermut ist wirksam bei Magen-, Darm- und Gallebeschwerden. Besonders bei Blähungen und Völlegefühl steigert die Einnahme das Wohlbefinden.
Mit dem Kraut wurde seit altersher fast jede erdenkliche Beschwerde oder Krankheit behandelt, u. a. Appetitlosigkeit, Verdauungsstörungen, Blähungen und Mundgeruch, Kopfschmerzen, Krämpfe und Rheuma. Es sollte die körpereigenen Abwehrkräfte mobilisieren und Infektionen verhindern; äußerlich zur Heilung von Hautkrankheiten und Schürfwunden beitragen und nicht allein die Folgen von Stichen und Bissen von Insekten, Spinnen, Schlangen und Skorpionen mildern, sondern ebenso der Abwehr von Motten Wanzen, Flöhen und Ratten dienen. Die Wirksamkeit der meisten volkstümlichen Verwendungsweisen ist nicht belegt. Dies gilt besonders für die homöopathische Anwendung: Hier glaubt man an die Wirkung von Absinthium, hergestellt aus frischen Blüten und Blättern.
Extrakte (Tropfen) oder Tinkturen, Tees und alkoholische Kräuterbitter. Im Handel gibt es zahlreiche Teemischungen (Magen-, Galle-, Lebertee) und Fertigarzneimittel, auch in Kombination mit anderen Bittermitteln und Aromatika.
Mittlere Tagesdosis (Richtwert): 2–3 g Droge als wässriger Auszug. Der Anwendungszeitraum sollte nicht länger als eine Woche betragen.
„Absinth” ist ein Trinkbranntwein, der vor allem durch Absinthin und ätherische Öle der Wermutpflanze ein bitteres Aroma und grünliche Färbung erhält. Je nach Rezept werden zur Geschmacksverbesserung oder Färbung verschiedene Kräuter zugesetzt, z. B. Anis/Sternanis, Fenchel, Zitronenmelisse, Ysop, Wacholder, Muskatnuss, Ehrenpreis, Angelikawurzel, Melisse, Koriander, Kamille, Petersilie; in Tschechien auch Pfefferminze (aber kein Anis und Fenchel) und in Frankreich Koriander. Heutige Rezepte werden von den Unternehmen geheim gehalten. Das Ursprungsrezept soll aus der Schweiz stammen (Couvet im Val-de-Travers), wo es von Dr. Pierre Ordinaire und Henriette Henriod erfunden wurde („Alpenwermut” mit Melisse, Ysop oder Angelikawurzel). Es gelangte in den Besitz von Henry-Louis Pernod, der 1805 eine Brennerei in Pontarlier (Frankreich) gründete. In den Algerien-Kriegen (1844–1847) wurde der wermuthaltige Branntwein französischen Soldaten verabreicht, um ihren Kampfgeist zu stärken und sie prophylaktisch vor Krankheiten wie Malaria und Helminthiasis (= Erkrankung durch parasitische Würmer) zu schützen. Zurückgekehrte Soldaten machten das Getränk („fée verte“ = „grüne Fee”) dann auch in Frankreich populär. Als der Rotweinpreis wegen Schädlingsbefall anstieg und der Absinthpreis fiel, entwickelte sich der Absinth-Branntwein im späten 19. Jh. zur beliebtesten Spirituose Europas. Er wurde in allen Bevölkerungsschichten konsumiert, erlangte aber ganz besondere Berühmtheit als berüchtigte Droge zur Steigerung der künstlerischen Inspiration in der Pariser Boheme. In dieser Zeit entstanden u. a. die Gemälde von Degas („Der Absinth“); van Gogh („Stillleben”) und Picasso („Der Absinthtrinker”).
Wie auf dem van Gogh-Gemälde zu sehen ist, wird Wasser zum Absinth gereicht. In Absinth bewirkt es – wie bei Anisspirituosen (z. B. Ouzo) – eine charakteristische Trübung, weil sich das ätherische Öl nicht mit Wasser vermischt. Statt dessen umgeben sich die Öltröpfchen mit einem Wasserfilm, wodurch sich an den Grenzflächen das Licht streut und als Trübung wahrgenommen wird („Louche-Effekt”). Zudem ist eine Verdünnung von Absinth aufgrund des hohen Alkoholgehalts von zumeist 55 bis 70 Vol.-% (traditionell: 45 bis 72 Vol.-%) sinnvoll und auch Teil des Trinkrituals.
Der Absinth-Konsum bewirkte nach einer Phase des Wohlbefindens zunächst Halluzinationen, später Depressionen und Persönlichkeitsveränderungen („Absinthismus”). Im 19. Jh. war das Endstadium ein mit Krämpfen verbundener körperlicher Verfall mit Todesfolge. Bis in die Neuzeit wurde der Inhaltsstoff Thujon dafür verantwortlich gemacht. Dies wird heute angezweifelt: Die Analyse von historischem Absinth (vor dem Verbot in Frankreich 1915) deutet darauf hin, dass der damalige Thujon-Gehalt überschätzt und ansonsten „außer Ethanol nichts gefunden wurde, was den „Absinthismus“ erklären könnte” (Lachenmeier et al. 2008). Die damals im Absinth enthaltenen Thujonkonzentrationen reichten offenbar nicht aus, um die beschriebenen Gesundheitsschäden auszulösen, denn der dazu erforderliche Schwellenwert war nicht überschritten. Als eigentliche Ursache der Gesundheitsschäden wird statt dessen der hohe Alkoholgehalt (45 bis über 70 Vol.-%) in Verbindung mit dem ätherischen Wermutöl – in seiner Gesamtheit mit allen Inhaltsstoffen, einschließlich Thujon – vermutet (Padosch et al. 2006), wobei Verunreinigungen (Methanol, Kupfersulfat) zumindest mitverantwortlich waren. Zudem ist eine Verwechslung des ätherischen Öls mit dem Branntwein in Betracht zu ziehen, denn beides wurde „absinthe” genannt.
Der Vertrieb von Absinth-Branntwein ist wegen der suchterregenden und giftigen Wirkung in den meisten Kulturländern verboten worden; in Deutschland seit 1923. Später wurden für die maßgeblichen Inhaltsstoffe Grenzwerte festgelegt und die Aromenverordnung geändert. Seit 1998 (EU) und 2001 (Schweiz) dürfen Absinth-Spirituosen auf dieser Grundlage (Thujon-Gehalt von max. 35 mg/kg α-/β-Thujon) wieder hergestellt und vertrieben werden. Es sind zahlreiche Sorten erhältlich und die Hersteller bemühen sich im Wettbewerb um immer originellere Rezepte: Angeboten werden u. a. „Absinth Devil” und „Suicide Absinth Red Chilli”. Beim tschechischen „Absinth Beetle” befindet sich innerhalb der Flasche eine alkohol-konservierte Riesenheuschrecke („Baumhummer”, Eurycantha horrida aus Neuguinea), die von hartgesottenen Gourmets zusammen mit dem 70 Vol.-%-Getränk verzehrt wird.
Im Handel angebotene Wermutweine (Wermut, frz. Vermouth) enthalten kein ätherisches Öl und damit kein Thujon. Sie bestehen aus mindestens 70 % Wein, den Bitterstoffen des Wermuts (zumeist des Römischen Wermuts: Artemisia pontica), Aromatisierung (Alant) und Zuckerlösung (15–20 % Alkohol). Industriell wurde Wermutwein erstmals 1786 auf der Grundlage von Muskateller-Wein in Turin hergestellt; Variationen sind bitter bis süß (rosso/amaro, bianco und secco). Zur Anregung der Verdauungssäfte ist er als Aperitif geeignet. Wermutwein und -geist lassen sich auch selbst herstellen. Es ist jedoch Vorsicht geboten, auch bei der Dosierung: regelmäßiger Genuß kann zur Sucht führen und bei übermäßigem Genuß wird u. a. das Nervensystem geschädigt.
Wermutwein selbst herstellen: Wein (z. B. Rhein- oder Moselwein) wird im Verhältnis von 50 : 1 auf die getrockneten Wermutblätter (z. B. 5 Liter Wein auf 100 g Wermut) geschüttet. Den Aufguss lässt man unter häufigem Schütteln 3 bis 4 Monate lang ziehen und gießt die klare Flüssigkeit ab. Mäßig verwenden; gute Wirkung bei Appetitlosigkeit und Verdauungsstörungen. Zur eigenen Herstellung von Wermutgeist nimmt man 5 g getrockneten Wermut auf 1 Liter Wodka, 3 Wochen stehenlassen (täglich schütteln), filtrieren, in eine Flasche füllen und fest verschließen; mindestens 1 bis 2 Jahre ruhen lassen. Verwendung in geringen Mengen (am Tag nicht mehr als 1 kleines Schnapsglas).
Wermut-Tee:
1/2 Teelöffel geschnittenes Kraut auf 1/4 l kochendes Wasser, 5 Minuten ziehen lassen, abseihen und sehr warm trinken. Tagesdosis: maximal drei Tassen täglich. Bei Verwendung als bitteres Magenmittel sollte der Tee vor dem Essen getrunken werden, als Gallenmittel nach dem Essen.
Weil der Bitterstoff im Wermut zugleich ein Wirkstoff ist, sollte Wermut-Tee niemals mit Zucker gesüßt werden. Dies würde dessen Wirksamkeit herabsetzen. Um den unangenehm bitteren Geschmack zu mindern, kann man ihn stattdessen mit anderen Bittermitteln oder Aromatika kombinieren, z. B. mit gleichen Anteilen Pfefferminze und Tausendgüldenkraut. Zubereitungen sollte man nicht sofort herunterschlucken, sondern etwas im Mund belassen, da sie ihre Wirkung vor allem über die Mundschleimhaut entfalten.
Die Inhaltsstoffe des ätherischen Wermutöls sind nicht nur Grundstoffe in der Pharmazie, sondern ebenso in der Parfüm- und Kosmetikindustrie. Verwendet werden z. B. Azulenderivate (frisches Wermut gilt als beste Quelle für Azulen) und Myrcen zur Herstellung von Geruchs- und Geschmacksstoffen.
→ nach oben
→ zurück zur Übersicht
Letzte Änderung: 12. Januar 2021
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: 12. Januar 2021
Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2020): Wermut (Artemisia absinthium) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt in CH-Brunnen: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).
Bildnachweise
• Wermut-Zeichnung: aus Thomés (1904);
• Abb. zu Eigenschaften/Wirkungen: aus El-Saber Batiha et al. (2020);
• van Gogh 1887: „Stillleben mit Absinth” – Van Gogh Museum in Amsterdam/NL (Public domain, via Wikimedia Commons);
• Eurycantha horrida: aus Wood, J. G. (1874): Insects abroad: being a popular account of foreign insects, their structure, habits, and transformations. – Internet-Archive, Chapter III, Seite 303 (https://archive.org/details/b28066352/page/302/mode/2up?q=Eurycantha);
• Verbreitungskarte Artemisia absinthium: Euro+Med PlantBase Project. Botanical Museum, Helsinki, Finland 2018; Data from BGBM Berlin-Dahlem, Germany. Source: World Checklist of Selected Plant Families (2010), © The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew;
alle weiteren Fotos und Abbildungen:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg
Zitierte Literatur
→ Standardwerke, Lehrbücher und weiterführende Literatur finden Sie im Literaturverzeichnis (home-Seite oder (http://www.kraeuterabc.de/literatur/)
Dettling, A. et al. (2004): Absinthe: attention performance and mood under the influence of thujone. – Journal of Studies on Alcohol, 65 (5): 573–581; doi.org/10.15288/jsa.2004.65.573.
El-Saber Batiha, G. et al. (2020): Review. Bioactive Compounds, Pharmacological Actions, and Pharmacokinetics of Wormwood (Artemisia absinthium). – Antibiotics 9 (6): 353; 25 Seiten; doi.org/10.3390/antibiotics9060353.
Goud, B. J. et al. (2015): A review on history, controversy, traditional use, ethnobotany, phytochemistry and pharmacology of Artemisia absinthium Linn. – International Journal of Advanced Research in Engineering and Applied Sciences 4 (5): 77–107.
Lachenmeier, D. W. et al. (2007): Absinthe – A Review. – Journal Critical Reviews in Food Science and Nutrition 46 (5): 365–377.
Lachenmeier, D. W. et al. (2008): Chemical Composition of Vintage Preban Absinthe with Special Reference to Thujone, Fenchone, Pinocamphone, Methanol, Copper, and Antimony Concentrations. – J. Agric. Food Chem. 56: 3073–3081; doi.org/10.1021/jf703568f.
McMullen, M. K. et al. (2015): Bitters: Time for a New Paradigm (Review Article). – Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, Article ID 670504; 8 Seiten; doi.org/10.1155/2015/670504.
Msaada, K. et al. (2015): Research Article: Chemical Composition and Antioxidant and Antimicrobial Activities of Wormwood (Artemisia absinthium L.) Essential
Oils and Phenolics. – Journal of Chemistry, Article ID 804658; 12 Seiten( Hindawi Publishing Corporation); doi.org/10.1155/2015/804658.
Martins, J. & S. Brijesh (2018): Phytochemistry and pharmacology of anti-depressant medicinal plants: A review. – Biomedicine & Pharmacotherapy 104: 343–365.
Padosch, S. A. et al. (2006): Review. Absinthism: a fictitious 19th century syndrome with present impact. – Substance Abuse Treatment, Prevention, and Policy 1: 14 Seiten; doi:10.1186/1747-597X-1-14.
Thomés (1904): Prof. Dr. Thomés Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz. – Gera (Verlag Friedrich von Zerschlitz).
Wake, G. et al. (2000): CNS acetylcholine receptor activity in European medicinal plants traditionally used to improve failing memory. – Journal of Ethnopharmacology 69 (2): 105–114; doi.org/10.1016/S0378-8741(99)00113-0.