Der Rainfarn ist eine 40 bis 130 cm hoch wachsende Staude mit aufrecht stehenden, kahlen und kantigen, oft purpurrot überlaufenen Stengeln. Daran befinden sich wechselständig die einfach bis doppelt fiederspaltigen und farnähnlichen, bis 20 cm großen Blätter. Zwischen Juli und Oktober erscheinen die leuchtend gelben Köpfchen aus Röhrenblüten. Zwischen 10 und 70 dieser breit-scheibenförmigen (knopfartigen) Köpfchen sind zusammen in einer dichten, schirmförmigen Doldenrispe angeordnet. Die Pflanze verströmt einen starken und herben Duft, durch den zahlreiche Insekten angelockt werden und die Blüten bestäuben. Ihre 1,2 bis 1,8 mm großen, verkehrt-eiförmigen Früchte besitzen einen Pappus (behaarten Kelch).
Bei starker Sonneneinstrahlung richten sich die Rainfarnblätter mit ihren Flächen vertikal in Nord-Süd-Richtung aus (Kompaßpflanze).
Nahe verwandte Heilkräuter wurden früher ebenfalls der Gatt. Tanacetum zugerechnet, z. B. das Balsamkraut (Chrysanthemum balsamita, syn. T. balsamita), Mutterkraut (Chrysanthemum parthenium, syn. T. parthenium) und die Dalmatinische Insektenblume (Chrysanthemum cinerariifolium, syn. T. cinerariifolium).
Der Rainfarn ist in ganz Europa und Nordasien heimisch, in Nordamerika eingeführt und verwildert.
Das Kraut wächst häufig (in den Alpen seltener) an Wegrändern, Waldrändern, Hecken, auf Brachland und an Ufern von Bächen und Flüssen. Es bevorzugt frische und mäßig stickstoffreiche, auch sandige Ton- und Lehmböden.
Kultiviert wird der Rainfarn lediglich in Gärten (Volksarzneipflanze). Dabei sollte man beachten, daß er sich nicht nur durch Samen, sondern auch durch unterirdische Ausläufer vermehrt. Der Rainfarn ist vollkommen winterhart und sehr widerstandsfähig.
Die Germanen und ihre benachbarten Völker verwendeten den Rainfarn zum Gelbfärben der Kleider. In der antiken Heilkunst spielte er keine Rolle. Erste Hinweise auf eine spätere Verwendung geben die Namen „tanaceta“ bei Benedictus Crispus (gest. 725 od. 735) und „tanazita“ im Capitulare Karls des Großen (9. Jh.). In Kräuterbüchern des Mittelalters wird der Rainfarn öfters erwähnt. Hildegard von Bingen (1098-1179) schlug vor, ihn in Form von gebackenem Eierkuchen („cuchen“) zu verzehren und verordnete ihn bei Beschwerden des Magen-Darm-Trakts, der Blase und vor allem bei Gebärmutterleiden („Frauenkraut“).
Schon Hieronymus Bock (1498-1554) und Leonhart Fuchs (1501-1566) schrieben den Blüten und Samen des Rainfarns eine Wirksamkeit als Wurmmittel zu. Diese Verwendung steht in der Volksmedizin bis heute im Vordergrund. Weitere Anwendungen sind Zahnschmerzen, Appetitmangel und Magen-Darm-Beschwerden (Magenkrämpfe), Blasenleiden und Neuralgien, als Abortivum und vorbeugend gegen Migräne.
In der Pflanzenmythologie zählt der intensiv riechende Rainfarn zu den „Berufskräutern“, die jedem Zauber widerstehen und bereits berufene Menschen oder Tiere heilen können. Im biologischen Gartenbau dient ein Rainfarn-Aufguß zur Bekämpfung von Milben, Mehltau und Rost.
In der griechischen Mythologie soll der Rainfarn den trojanischen Prinzen Ganymed unsterblich gemacht haben, damit er seinen Dienst als Mundschenk des Zeus in ewiger Jugend und Schönheit ausüben kann. Der Name „Tanacetum“ (engl. „Tansy“) hat daher möglicherweise in den griechischen Worten „tanaos“, (lang), „akeomai“ (ich heile) oder „athanaton“ (unsterblich) seinen Ursprung. Als Schutz vor Verwesung wurde das Kraut auch in Särge gestreut.
Noch heute wird die Pflanze neben anderen Heilkräutern (z. B. Dost) an Maria Himmelfahrt (15. August) in der Kirche geweiht. Die gesegneten Kräuterbüschel wurden in früheren Zeiten zum Schutz gegen Blitz, Donner und Teufel im Haus aufgehängt – mit doppeltem Nutzen, denn es wird ihnen auch eine Wirkung als Mottenkraut zugeschrieben.
Hauptkomponenten sind einerseits ätherische Öle (0,1-0,2 % im frischen und 0,2-03 % im getrockneten Kraut), vor allem Thujon (bis 0,8 % im Kraut, bis 1,5 % in den Blüten) und andererseits Sesquiterpenlaktone (Bitterstoffe) aus den Gruppen der Eudesmanolide (z. B. Tanacetin) und Germacranolide (insbesondere Parthenolid).
Thujon ist ein starkes Nervengift (Krampfgift); in geringen Dosen wirkt es anregend und in größeren giftig (Gebrauch als Abortivum). Bitterstoffe reizen die Geschmacksknospen am Zungengrund und es kommt zu vermehrter Speichelsekretion und reflektorisch zu Magensaft- und Gallensekrektion (Mittel zur Appetitanregung). Rainfarnöl wirkt antibakteriell. Der Inhaltsstoff Parthenolid soll vorbeugend gegen Migräne wirken.
Alle Pflanzenteile sind giftig. Das im ätherischen Öl in großer Menge enthaltene Thujon wirkt neurotoxisch (schädigt das Nervensystem). Keine Verwendung in der Schwangerschaft: Rainfarn kann abortiv wirken (Fehlgeburt). Die traditionelle Verwendung als Wurmmittel ist gefährlich. Nach Anwendung von Rainfarn als Wurmmittel, Abortivum (zur Abtreibung) und zur Epilepsiebehandlung ist es schon zu Todesfällen gekommen (Kreislauf- und Atemstillstand nach 1 bis 3,5 Stunden). Von den meisten Tieren (Weidetieren) wird das Kraut gemieden.
Allergisch reagieren vor allem Personen mit Kompositenallergie (z. B. gegen Chrysantheme, Kamille, Mutterkraut): mittelstarke Sensibilisierungspotenz bei Hautkontakt.
In der Volksheilkunde ist eine Anwendung gegen Wurmbefall, besonders Madenwurm (Enterobius vermicularis) und Spulwurm (Ascaris lumbricoides) gebräuchlich. Heute unbedeutend ist die volkstümliche Verwendung bei Neuralgien, Zahnschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden und Blasenleiden.
Die Wirksamkeit bei Wurmbefall wie auch bei den übrigen Anwendungsgebieten ist nicht belegt; eine therapeutische Verwendung ist aufgrund der Risiken nicht vertretbar. Für die möglichen Anwendungsgebiete (Appetitanregung; antibakteriell) gibt es wirksamere und ungefährlichere Heilkräuter oder Medikamente.
Verwendet werden Kraut und Blütenstände wie auch deren Zubereitungen (pharmazeutisch auch das Rainfarnöl).
Im Handel sind nur wenige Präparate erhältlich, zumeist in Kombination mit anderen Pflanzenauszügen als Aufguß oder Tropfen.
Von einer Selbstbehandlung wird aufgrund der dargestellten Risiken abgeraten. Der Thujon- und Bitterstoffgehalt kann je nach Standort des Rainfarns bedeutend variieren. Daher können bei unkontrollierter Verwendung Thujonmengen aufgenommen werden, die schon bei normaler Dosierung toxisch wirken.
Früher wurde der Rainfarn homöopathisch bei Krämpfen und nervöser Erschöpfung verwendet (heute nicht mehr gebräuchlich).
Rainfarn ist zu geringem Anteil in einigen wenigen im Handel erhältlichen Teemischungen enthalten, z. B. Stoffwechsel- und Magen-Leber-Galle-Tee. Von einer Verwendung selbstgesammelter Pflanzen zur Teebereitung wird dringend abgeraten.
Auf Gebrauch und eigene Herstellung von Kosmetika (Kräuterkosmetika) und Hygieneartikeln sollte nicht nur wegen der Giftigkeit der Pflanze, sondern auch aufgrund des Allergierisikos verzichtet werden.
→ nach oben
→ zurück zur Übersicht
Letzte Änderung: 13. November 2018
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: z. Z. in Arbeit (2021)
Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2020): Rainfarn (Tanacetum vulgare) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt in CH-Brunnen: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).
Bildnachweise
Alle Fotos:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg
Zitierte Literatur
→ Standardwerke, Lehrbücher und weiterführende Literatur finden Sie im Literaturverzeichnis (home-Seite oder (http://www.kraeuterabc.de/literatur/)