Myrrhe ist ein dorniger Strauch oder bis zu 3 m hoher Baum mit stark verzweigten Ästen und weißgrauer Rinde. Seine wenigen kurzgestielten Fiederblätter werden in der Trockenzeit abgeworfen. Die weißen bis gelbroten Blüten bilden kleine Rispen. Sie entwickeln sich zu rötlich-braunen, eiförmig-zugespitzten und etwa 7 mm langen Steinfrüchten mit 1–2 Samen.
In Sekretgängen der Rinde sammelt sich Gummiharz, das bei Verletzung ausgeschieden wird. Größere Mengen erhält man durch Anritzen der Rinde. Das grüngelbe Harzsekret verhärtet sich an der Luft zu braungelben bis rotbraunen, aromatisch-bitter schmeckenden Körnern oder Klumpen. Eingetrocknet kleben sie am Stamm oder fallen zu Boden.
Man unterscheidet etwa 100 Commiphora-Arten, von denen die Echte oder Rote Myrrhe (C. molmol) medizinisch und als Räuchermittel für kultische Handlungen verwendet werden. Gummiharze werden auch aus weiteren Arten (z. B. C. abyssinica, C. schimperi, C. playfairii) gewonnen; C. erythraea liefert die Bisabol-Myrrhe (süße Myrrhe). Als Ersatz für Myrrhe (falsche Myrrhe: Bdellium) nimmt man die Arten C. africana (afrikanisches Bdellium) und C. mukul (indisches Bdellium).
Zur selben Pflanzenfamilie wie die Myrrhe gehört der Weihrauch (Boswellia-Arten). Beide bilden würzig riechende Gummiharze und in schriftlichen Überlieferungen aus dem Altertum ist nicht immer zweifellos feststellbar, welche von ihnen gemeint ist. Zudem verwendete man früher noch weitere Pflanzen mit ähnlich nutzbaren Harzen, z. B. Styrax-Harz von Styrax officinalis und Liquidambar orientalis aus Kleinasien, Syrien und Iran, Mastix-Harz von Pistacia lentiscus oder P. terebinthus (Anacardiaceae) aus dem Mittelmeergebiet und Terebinthe von verschiedenen Kiefer-Arten (Pinus sp., Pinaceae); möglicherweise auch Galbanum (Mutterharz) von Ferula-Arten (Apiaceae) aus Iran und Afghanistan, Elemiharz von Canarium luzonicum (Burseraceae) aus Afrika und Opopanax-Gummi von Opopanax chironicum (Apiaceae) aus Ägypten, Arabien und Somalia.
Die Echte Myrrhe (C. molmol) soll ursprünglich aus Somalia und Ägypten stammen und ist heute auch in den östlichen Mittelmeerländern verbreitet; weitere Arten wachsen im südlichen Arabien, in Äthiopien, Jemen und Somalia, im Sudan und auch in Indien.
Gehandelt wurde Myrrhe auf dem Landweg über die Weihrauchstraße von Südarabien bis nach Gaza und auf dem Seeweg im gesamten Mittelmeerraum.
Nach einer Legende soll sie als Geschenk der Königin von Saba an König Salomon nach Jericho gelangt sein. Als wahrscheinlicher wird heute angenommen, daß Myrrhe auch im Jordantal vorkam und die dortigen Pflanzen durch Züchtung optimiert wurden.
Commiphoren wachsen in Dornbuschgesellschaften der Savannen unter ariden tropischen Verhältnissen.
Myrrhe wird kaum kultiviert. Das Harz stammt fast ausschließlich aus Sammlungen im Freiland.
Seit ältesten Zeiten war das Harz des Myrrhestrauchs sehr wertvoll und etwa doppelt so teuer wie Weihrauch. Erste schriftliche Berichte über eine Verwendung stammen von 1700 v. Chr. (Gilgamesch-Epos). Hergestellt wurden vor allem kosmetische Artikel, z. B. Salböl (heiliges Öl) und Pflegemittel. Mit „Kyphi“ ehrte man im alten Ägypten nicht allein die Götter; es war auch das Parfüm des Volkes. Verschiedene Rezepte sind zwar überliefert, aber ohne Kenntnis der Herstellungsweise und genauerer Mengenangaben nicht nachvollziehbar. Wesentliche Bestandteile waren Myrrhe, Weihrauch und Mastix-Harz mit Kräutern. Wohlriechende Salben mit Myrrhe dienten zum Einbalsamieren und Konservieren der Toten. Bei mystisch-kultischen Bräuchen sollte der durchdringende Rauch verbrannten Harzes Dämonen vertreiben und Krankheiten heilen. Nicht nur Ägypter, sondern auch Griechen und Römer schätzten die Myrrhe als vielfältig verwendbares Heilmittel, besonders zur Wundbehandlung, bei Schmerzen, Husten und Heiserkeit, Magen-/Darm-Beschwerden, Zahnfäule und als Gegengift bei Schlangenbissen. In Judäa (Jordangraben) befanden sich schon im Altertum berühmte Myrrhehaine und in der Bibel ist Myrrhe (= Balsam) recht häufig erwähnt. So brachten z. B. die drei Heiligen Könige Weihrauch, Gold und Myrrhe (Matthäus 2, 11), Jesus reichten sie vor der Kreuzigung „Wein, der mit Myrrhe gewürzt war“ (Markus 15, 23) und zum Thema Aphrodisiakum und Wohlgeruch steht geschrieben: „Ich habe mein Lager besprengt, mit Myrrhe, Aloe und Zimt. Komm, wir wollen bis zum Morgen in Liebe schwelgen…“ (Buch der Sprichwörter 7, 17–18). Im Mittelalter wurden die aus der Antike bekannten Anwendungen übernommen. Hildegard von Bingen (1098-1179) empfahl die Droge u. a. als wirksames Fiebermittel und gegen Migräne. Räuchern mit „Teufelsdreck“ (Harz von Stink-Asant, Ferula assa-foetida) und Myrrhe sollte den Teufel vertreiben (z. B. bei Hysterie). Die Pestpillen der Ärzte im Mittelalter bestanden aus Aloe, Safran und Myrrhe.
Beim Kauen bleibt das Harz an den Zähnen haften. Pulverisiert ist es hell-orangegelb.
Myrrhe-Harz ist in Wasser und Alkohol nur teilweise löslich (Qualitätsmerkmal: Löslichkeit von 30 % in heißem Ethanol). Erhitzt man es jedoch in Öl, verflüchtigen sich die Alkohole und es bildet sich ein durchscheinender, mehr oder weniger dunkler Lack. Er ist wasserfest und wird durch äußere Einflüsse kaum verändert. Aufgrund dieser Eigenschaften dient er in verschiedenen Mischungen im traditionellen Instrumentenbau zur Oberflächenveredlung von Streichinstrumenten (Geige, Cello, Bass).
Die Namen „Myrrhe“ (von arab. „murr“ = bitter) und „molmol“ (somalisch: sehr bitter) beziehen sich auf den bitteren Geschmack. „Commiphora“ wird auf griech. „Kommi“ (= Gummi) und „pherein“ (= tragen) zurückgeführt.
Die wichtigsten Inhaltsstoffe von Myrrheharz sind 2–10 % ätherisches Öl mit Monoterpenen (z. B. alpha-Pinen) und Sesquiterpenen (insbesondere Furanosesesquiterpenen, z. B. Commiferin), 25–40 % äthanollösliches Harz aus Di- und Triterpensäuren und 30–60 % wasserlöslicher Gummianteil aus Proteinen und Kohlenhydraten.
Myrrhe wirkt desinfizierend, desodorierend, granulationsfördernd, konservierend, schmerzstillend und schwach zusammenziehend.
Für die schmerzstillende Wirkung der Myrrhe sollen Sesquiterpene (u. a. Curzaren) verantwortlich sein; die Wirkung erfolgt wahrscheinlich über Opiatrezeptoren im Gehirn. Eines der Forschungsziele ist die Entwicklung eines nebenwirkungsfreien Schmerzmittels.
Bei unverdünnter Anwendung kommt es in der Mundhöhle vorübergehend zu einem leichtem Brennen und zur Veränderung der Geschmackswahrnehmung. Allergische Reaktionen nach Kontakt mit Myrrhetinktur treten sehr selten auf.
Anwendung als adstringierendes (= zusammenziehendes), desinfizierendes und desodorierendes Mittel bei Entzündungen der Mundhöhle und Zahnfleischerkrankungen sowie zur Desinfektion der Mund- und Rachenschleimhaut (z. B. bei Stomatitis und Gingivitis) sowie bei Druckstellen durch Zahnprothesen.
In der Volksmedizin nimmt man Myrrheharz auch äußerlich zur Behandlung von kleineren Wunden und Geschwüren und innerlich gegen Blähungen, bei unspezifischen Darminfektionen und als auswurfförderndes Mittel – bei den hier genannten traditionellen Anwendungen ist eine Wirksamkeit nicht ausreichend belegt.
Verwendet wird das aus der Rinde ausgetretene und an der Luft getrocknete Harz von Commiphora molmol oder auch von anderen Arten in einer chemisch ähnlichen Zusammensetzung.
Äußerliche Anwendung als Tinktur (2–3 x täglich unverdünnt zur Pinselung von Mund- und Rachenschleimhaut); verdünnt zum Mundspülen und als Gurgelmittel (5–10 Tropfen auf 1 Glas warmes Wasser), entsprechend 10 % gepulvert (in Zahnpulvern). Zur innerlichen Anwendung bei unspezifischen Darminfektionen sind Fertigarzneimittel erhältlich.
In arabischen Ländern dient Myrrhe als Gewürzzusatz in Limonade.
Myrrhe ist im Orient in einigen Süßigkeiten enthalten.
Das ätherische Öl der Myrrhe wird zumeist aus Commiphora molmol gewonnen und kann wegen seines beständigen Dufts bei der Parfümherstellung als Basisnotenöl verwendet werden (z. B. in Chypre). Es ist Bestandteil von Zahn- und Mundpflegemitteln, Seifen, Lippenstiften und Hautcremes.
Das Rezept zur Herstellung eines heiligen Salböls steht in der Bibel, Buch Exodus 30, 22–25 („Der Herr sprach zu Mose: Nimm dir Balsam von bester Sorte …“). Ingredienzen waren erstarrte Tropfenmyrrhe, wohlriechender Zimt, Gewürzrohr (Cymbopogon nardus), Kassia (Cinnamomum cassia) und Olivenöl.
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Letzte Änderung: 15. Dezember 2020
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: z. Z. in Arbeit (2021)
Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2020): Myrrhe (Commiphora molmol,) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt in CH-Brunnen: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).
Bildnachweise
Alle Fotos:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg
Zitierte Literatur
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