Der Meerrettich ist eine ausdauernde Staude mit langgestielten, eiförmig lanzettlichen und am Rand gekerbten Blättern, die in einer grundständigen Rosette stehen und bis zu 1 m lang und 25 cm breit werden können. Über den dunkelgrünen Rosettenblättern erheben sich zwischen Mai und Juli verzweigte, kantige und hohle Stengel mit fiederspaltigen (unteren) und linealisch-ungeteilten (oberen) Blättern, die weiße Blüten tragen. Wie für Kreuzblütler charakteristisch, bestehen sie aus einem Wirtel mit 4 Kronblättern und sind in Rispen angeordnet. Nach der Blütezeit entwickeln sich kugelige, 4 bis 6 mm lange Schötchen.
Der Meerrettich bildet lange und kräftige Pfahlwurzeln mit braunschwarzer Außenhaut, die oft tiefer als 60 cm in die Erde reichen. Sie schmecken und riechen sehr scharf und intensiv.
Die Sorte Armoracia rusticana, ‚Variegata‘ mit weiß gescheckten Blättern dient als Zierpflanze.
Die artenreiche Familie der Kreuzblütler umfaßt zahlreiche Kulturpflanzen. Beispiele sind Kohl (Brassica oleracea) in verschiedenen Varietäten und Chinakohl, eine Varietät von Rübsen (Brassica rapa var. pekinensis). Rübsen, Raps (Brassica napus), Schwarzer und Weißer Senf (Brassica nigra, B. alba) werden wegen ihrer ölreichen und würzigen Samen kultiviert. Weitere Verwandte sind der Rettich (Raphanus sativus) und dessen Varietät Radieschen (Raphanus sativus var. radicola).
Nicht verwandt mit dem einheimischen Meerrettich sind der grüne asiatische Meerrettich „Wasabi“ und der Meerrettichbaum (Moringa oleifera; Fam. Moringaceae, Bennußgewächse).
Die Heimat des Meerrettichs ist Südrußland und die östliche Ukraine, wo die Pflanze wild an Bach- und Flußufern wächst. Von dort gelangte er im Verlauf des Mittelalters von Ost- nach Mitteleuropa. Heute wird der Meerrettich in allen Regionen mit gemäßigtem Klima kultiviert. Bekannte Anbaugebiete in Deutschland sind Franken (z. B. die Umgebung von Nürnberg und Erlangen) und der Spreewald.
Meerrettich stellt keine hohen Ansprüche an Klima und Standort. Er bevorzugt aber tiefgründige, stickstoffhaltige, feuchte und lehmige Sandböden; Halbschatten ist günstig und auch schattige Lagen werden vertragen. Typische Standorte der zumeist aus Anpflanzungen verwilderten Exemplare sind Ruderalstellen, Gräben und Bachufer, Wegränder und Schutthalden.
Die mehrjährige Pflanze ist schon einjährig zu ernten, da später die Wurzel verholzt. Im Frühjahr werden die kräftigen Seitenwurzeln (Fechser) älterer Pflanzen abgeschnitten, im März in die Erde gesetzt und nach der Wurzel- und Sprossbildung im Juni wieder ausgegraben. Nach Entfernen aller Seitenwurzeln und Basalknospen kommen die Fechser erneut in den Boden (Bauernweisheit: „Ein Acker mit Kren will seinen Herrn jeden Tag sehn“). Die basale Restwurzel wächst jetzt als „glatte Stange“ und kann ab Oktober den ganzen Winter geerntet werden. Da im Boden verbliebene Wurzelstücke im Frühjahr austreiben, kann der Meerrettich an geeigneten Standorten lästig werden und ist oft nur mit großem Aufwand auszurotten. Vermehren läßt er sich auch durch Teilen des Wurzelstocks. Samen bildet sich bei Kulturformen wie auch bei verwilderten Pflanzen zumeist nicht aus.
Meerrettich wird seit der Antike kultiviert. Die Römer nutzten ihn als Würz- und Heilmittel. Im Mittelalter war seine gesundheitsfördernde Wirkung auch schon in Mitteleuropa bekannt. Hildegard von Bingen (1098-1179) empfahl, bei Herz- und Lungenerkrankungen Meerrettich zu essen. Umschläge oder Hautlotion aus geriebenen Meerrettichwurzeln sollten gegen Altersflecken oder Sommersprossen helfen. Leonhart Fuchs (1501-1566) nahm an, daß Meerrettich harntreibend wirkt. Gewarnt wurde aber vor einem zu häufigem Genuß, der bei Menschen mit empfindlichem Magen Blähungen und blutigen Urin herbeiführen kann. Äußerlich wurde Meerrettich in Form von Breiumschlägen aus frisch geriebenen Wurzeln bei Zahnweh, Rückenschmerzen und Magenkrämpfen verwendet.
Bei Kopfschmerzen sollten auf Schläfen oder innere Handwurzel gelegte Meerrettichscheiben heilend wirken. Bei Rheuma wurden die betroffenen Körperteile mit Branntwein gewaschen, in den die Wurzelstücke des Meerrettichs für einige Zeit eingelegt waren. Frisch geriebenen Meerrettich nahm man auch bei Husten, Blasen- und Nierenleiden oder zusammen mit Wein bei Verschleimung der Atemwege.
Der Name Meerrettich leitet sich nicht von „Meer“, sondern vom Althochdeutschen „merratih“ ab, was „mehr“ oder „größerer“ Rettich bedeutet (mittelhochdeutsch: „merretich“). Kren oder Krien nennt man ihn volkstümlich z. B. in Franken und Österreich. Der Ursprung des Gattungsnamens Armoracia ist unbekannt; rusticanus (lat.) bedeutet „bäuerlich, ländlich“.
Einer alten Bauernregel zufolge sollen Meerrettichwurzeln am besten in den Monaten mit einem „r“ im Namen zu gebrauchen sein.
Frisch geriebenen Meerrettich verwendete man im Zweiten Weltkrieg anstelle des damals knapp gewordenen Chloroforms zur Schmerzbetäubung.
Hauptinhaltsstoffe sind Senfölglykoside (Glucosinolate, u. a. Benzylglucosinolat und Allylglucosinolat, z. B. Sinigrin;), die beim Zerkleinern oder Zerreiben des Gewebes unter Beteiligung des Enzyms Myrosinase zu Zucker und aromatragendem Senföl (schwefelhaltige Isothiocyanate, u. a. Benzylisothiocyanat, Allylisothiocyanat) abgebaut werden. Isothiocyanate sind bitter oder – wie beim Meerrettich – scharf schmeckend.
Bemerkenswert ist der hohe Vitamin-C-Gehalt der Wurzeln (doppelt so hoch wie bei der selben Menge Zitronen).
Die Wirkstoffe des Meerrettichs haben hyperämisierende (durchblutungssteigernde) und aufgrund der Senföle auch antimikrobielle Eigenschaften. Das Senföl Benzylisothiocyanat gelangt schon im Zwölffingerdarm in das Blut, womit eine Beeinträchtigung der Dünn- und Dickdarmflora – die unerwünschte Nebenwirkung der meisten Antibiotika – entfällt. Auch die Salzsäureproduktion im Magen wird durch Meerrettich signifikant erhöht.
Bei Kindern unter 4 Jahren sollte keine Anwendung erfolgen.
Kontraindikationen bei der Einnahme sind Magen- und Darmgeschwüre sowie Nierenerkrankungen. Als Nebenwirkung können bei hoher Dosierung Magen-Darm-Beschwerden auftreten.
Eine äußerliche Anwendung (z. B. von Breiauflagen) sollte nicht länger als 5 bis 10 Minuten andauern, da Meerrettich stark hautreizend wirkt. Beim Reiben von Meerrettich werden auch die Augen gereizt.
Arzneidroge: Armoraciae rusticanae radix (Meerrettichwurzel)
Inner- und äußerliche Anwendung bei Katarrhen (Entzündungen) der Luftwege, z. B. Bronchitis. Die Therapie bei Infekten der ableitenden Harnwege kann durch eine Einnahme von Meerrettich unterstützt werden. Äußerlich verwendet man Meerrettich bei leichten Muskelschmerzen und rheumatischen Erkrankungen zur besseren Durchblutung.
Traditionell ist u. a. der Gebrauch bei grippalen Infekten, Leber- und Galleerkrankungen und als harntreibendes und verdauungsförderndes Mittel – die Wirksamkeit ist hierbei noch nicht ausreichend belegt.
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Verwendet wird die frische oder getrocknete zerkleinerte Wurzel und deren Zubereitungen (z. B. geriebene Wurzel, Frischpflanzenpreßsaft) zum Einnehmen oder zur äußeren Anwendung. Für die Einnahme wird eine mittlere Tagesdosis von 20 g (frische Wurzel oder entsprechende Zubereitungen) empfohlen. Zur äußeren Anwendung soll eine Zubereitung maximal 2 % Senföle enthalten (siehe Warnhinweise).
Die Anwendung von Meerrettich in homöopathischen Zubereitungen war früher bei Entzündungen von Augen, oberen Atemwegen und Oberbauchkoliken gebräuchlich.
Meerrettich dient gerieben als Gemüse oder Würze z. B. für Fleisch- und Fischgerichte, Saucen, harte Eier, Steaks und geschnitten als Gurkengewürz. Ein klassisches Gericht ist „Tafelspitz mit Meerrettichsoße“. „Apfelkren“ in Österreich und Bayern besteht aus geriebenem Meerrettich und Äpfeln mit verdünntem Essig.
Neben den Wurzeln sind auch die Blätter des Meerrettichs zum Verzehr geeignet: roh im Salat oder gedünstet in Spinat, Mangold oder Grünkohl.
Meerrettich gehört zu den 5 bitteren Kräutern, die zum jüdischen Pessach-Fest verzehrt werden (außerdem Andorn, Koriander, Nessel und Salat).
Die historische Verwendung des Meerrettichs in der Küche wird im Kräuterbuch von Valentini (1719) beschrieben: In Wien war frisch geriebener, mit heißer Brühe übergossener Meerrettich eine beliebte Beilage zum fetten ungarischen Ochsenfleisch. Auch zu Fisch reichte man gerne eine Sauce aus rohem, mit Essig und Zucker abgeschmecktem Meerrettich. Lediglich bei den Biertrinkern schien der Meerrettich nicht sonderlich beliebt gewesen zu sein, „weil das beste Bier darauff nicht gut schmäcket“.
Ein Meerrettich-Museum befindet sich in 91081 Baiersdorf, Judengasse 11. Es wurde auf Initiative des Heimatvereins Baiersdorf und der Meerrettich-Konservenfabrik Schamel eingerichtet und kann besichtigt werden (www.schamel.de).
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Letzte Änderung: 27. Dezember 2020
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: z. Z. in Arbeit (2021)
Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2020): Meerrettich (Armoracia rusticana) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt in CH-Brunnen: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).
Bildnachweise
• Verbreitungskarte Armoracia rusticana: Euro+Med PlantBase Project. Botanical Museum, Helsinki, Finland 2018; Data from BGBM Berlin-Dahlem, Germany. Source: World Checklist of Selected Plant Families (2010), © The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew;
alle weiteren Fotos und Abbildungen:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg
Zitierte Literatur
→ Standardwerke, Lehrbücher und weiterführende Literatur finden Sie im Literaturverzeichnis (home-Seite oder (http://www.kraeuterabc.de/literatur/)