Der Echte Lein ist einjährig und dringt mit seiner dünnen, wenig verzweigten Pfahlwurzel nicht sehr tief in den Boden ein. Am dünnen, oben verzweigten Stengel sind schmal-lanzettliche Blätter zerstreut angeordnet. Die Biegsamkeit des bis zu 1 m hohen Stengels ist auf Faserzellen zurückzuführen, die bündelweise im Sklerenchym (Hartgewebe) verlaufen. Eine Faserzelle ist 40 bis 60 mm lang und damit etwa 1000 mal so lang wie eine normale Zelle (aus diesen Sklerenchymfasern wird die Flachsfaser gewonnen). Zwischen Juni und August befinden sich an der Stengelspitze langgestielte Blüten aus 5 schmalen Kelch- und 5 himmelblauen, verkehrt-eiförmigen Kronblättern in einem rispenartigen Blütenstand. Sie sind nur einen Tag geöffnet und fallen danach ab. Bis alle Blüten einer Rispe aufgeblüht sind, kann es mehrere Wochen dauern. Die Frucht ist eine durch 5 echte und 5 falsche Wände geteilte Kapsel. In jedem Fach befindet sich eine Samenanlage. Beim „Springlein“, der ursprünglichen Form, springen die Kapseln elastisch auf. Beim „Schließlein“ bleiben sie im Reifezustand geschlossen (vor allem bei Sorten zur Leinölgewinnung). Die Samen sind flach, gelb bis rotbraun glänzend und enthalten in einem ölreichen Nährgewebe (Endosperm) den Keimling. Bei Kontakt mit Wasser quillt die aus Schleimzellen bestehende Außenhaut (Epidermis) der Samenschale auf.
Die Samen der verschiedenen Kulturformen von Linum usitatissimum sind in gleicher Weise als Heilmittel verwendbar.
Die Gattung Linum umfaßt 200 Arten ein-, zwei- oder mehrjähriger, zum Teil immergrüner Pflanzen, die in den gemäßigten Klimaregionen weit verbreitet sind. Nur zwei Leinarten, der Echte Lein (Linum usitatissimum) und der Purgier-Lein (L. catharticum) werden als Heil- und Nutzpflanze kultiviert.
Der Purgier-Lein oder Wiesen-Lein (L. catharticum) kommt in den beiden Unterarten ssp. catharticum (einjährig) und ssp. suecicum (zwei- bis mehrjährig) vor. Die Pflanze wird 10 bis 30 cm hoch und hat kleine, weiße, an der Basis gelbe Kronblätter. Sie ist ein Pionier in feuchteren Kalkmagerrasen und Moorwiesen und lebt in Symbiose mit einem Wurzelpilz. Das Kraut hat ähnliche Wirkung wie der Echte Lein, wird aber in der Volksmedizin nur noch selten angewendet, z. B. als Brech- und Abführmittel (lat. catharticus = abführend, purgierend), bei Rheuma und Leberbeschwerden.
Andere Leinarten wie z. B. der Ausdauernde Lein (L. perenne), der Gelbe Lein (L. flavum) oder L. narbonense finden sich oft als Zierpflanzen in unseren Gärten.
Die Heimat des Echten Leins ist unbekannt und es gibt wohl keine wildwachsenden, sondern nur verwilderte Vorkommen. Man geht davon aus, daß es sich um eine alte Kulturpflanze handelt, die vermutlich aus der im Mittelmeergebiet einschließlich Nordafrika vorkommenden Wildart Linum bienne syn. L. angustifolium hervorgegangen ist.
Der Echte Lein gedeiht auf jedem tiefgründigen Boden, der aber nicht zu sandig, zu schwer oder zu feucht sein darf. Saure Moor- und Kalkböden verträgt er nicht.
Als Faser- und Ölpflanze wird der Lein weltweit angebaut. Die Ernte der Samen erfolgt im Spätsommer oder Frühherbst. Man zieht die Pflanzen von Hand oder maschinell aus dem Boden und breitet sie gebündelt oder flach zum Trocknen aus. Die Samen werden herausgeklopft oder herausgedroschen. In Kultur befinden sich drei Sorten. Der Faserlein liefert in erster Linie hochwertige Fasern und weniger Öl. Er wird nur noch für spezielle Zwecke in Rußland, Belgien, Holland und Frankreich kultiviert. Der Öllein bildet mehr Öl und qualitativ schlechtere Fasern. Sein Anbau konzentriert sich auf die wärmeren Regionen Südeuropas und Ägyptens. Daneben gibt es noch den Ölfaserlein, der im Hinblick auf Ölgehalt und Faserertrag eine Mittelstellung einnimmt.
Durch Funde in Schweizer Pfahlbauten ist belegt, daß der Lein in Mitteleuropa schon in der Jungsteinzeit als Öl- und Faserpflanze angebaut wurde. Seit etwa 4000 v. Chr. ist der Gebrauch in Mesopotamien (später auch bei den Sumerern) und seit 3500 v. Chr. in Ägypten belegt. Auch die Römer schätzten den Lein, besonders zu Stoff verarbeitet. Hippokrates (5. Jh. v. Chr.) erwähnt ihn aber auch als Heilmittel. Plinius d. Ä. (23-79 n. Chr.) nannte die zahlreichen Anwendungen und stellte sich die Frage: „In welchem Bereich des täglichen Lebens wird Leinsamen eigentlich nicht eingesetzt?“. Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) empfahl ihn innerlich und äußerlich u. a. bei Geschwüren, Verstopfung und gegen Sonnenbrand. In Mitteleuropa orientierte sich Hildegard von Bingen (1098-1179) an den bekannten Indikationen, empfahl Leinsamenwasser zur Schmerzlinderung und Wundheilung und fügte die von Galen übernommene Bemerkung hinzu, der Leinsame habe als Nahrungsmittel keinen Wert und sei schwer verdaulich. Er geriet dann etwas in Vergessenheit und man verwendete ihn erst mit dem Aufschwung der „Leineweberei“ ab dem 13. Jh. auch wieder als Heilmittel. Im 16. Jahrhundert zählte Deutschland wegen seines Leins, der hauptsächlich in Schlesien angebaut und weiterverarbeitet wurde, zu den wichtigsten Industrieländern. Der Abschwung kam im 19. Jh., als Baumwolle und später synthetische Fasern den Lein verdrängten.
Die Kleidungsstücke der auf ägyptischen Wandmalereien abgebildeten Personen waren alle aus Leinenstoff hergestellt. Rechnet man den häuslichen Bedarf (Vorhänge, Tücher, Seile) und den Aufwand zum Einwickeln von Menschen- und Tierleichen (Mumien) hinzu, dann muß der Lein im alten Ägypten großflächig angebaut worden sein. Auf Bildern, die um 2500 v. Chr. entstanden sind, wird die Leinernte dargestellt (Ägyptisches Museum, Berlin).
Seit Anfang des 15. Jh. dient (warm gepreßtes) Leinöl auch als Bindemittel für Ölfarben, die dadurch eine größere Leuchtkraft erhalten. Im Handel wird es auch heute noch zur Verdünnung von Künstlerfarben (auch Lacken, Anstrich- und Druckfarben) angeboten. Dieses Leinöl darf nicht innerlich angewendet werden!
Außerdem dient Leinöl als einer der Rohstoffe für Linoleum (der Ausgangsstoff Linoxyn entsteht nach Erhitzen und Anblasen des Leinöls), Kitt und in der Papier-, Leder und Wachstuchindustrie.
Die Wirksamkeit des Leinsamens beruht vor allem auf den darin enthaltenen unverdaulichen Schleim- und Ballaststoffen (Zellulose, Hemizellulose und Lignin). Er enthält außerdem bis zu 40 % fettes Öl (Leinöl) mit einem hohen Gehalt ungesättigter Fettsäuren, Proteine (= Eiweiße), und einen geringen Anteil cyanogener Glykoside (= Blausäureglykoside: Linamarin bzw. Linustatin und Lotaustralin).
Der aufgenommene Leinsamen nimmt im Darm durch Quellung an Volumen zu und übt dadurch einen Dehnungsreiz auf die Darmwand aus. Dieser bewirkt einen Dehnungsreflex, bei dem die Darmperistaltik (= fortschreitende Darmbewegungen) angeregt wird. Die Darmperistaltik sorgt dafür, daß der Stuhl in Richtung Enddarm und After geschoben wird und entleert werden kann. Nimmt man aufgebrochenen oder geschroteten Lein, wirkt das fette Öl zusätzlich als Gleitmittel. Die empfindliche Darmschleimhaut wird durch Schleimstoffe und Leinöl abgedeckt und dadurch geschützt.
Das Mittel ist bei Ileus (= Darmverschluß) nicht anzuwenden.
Bei der Dosierung für die innerliche Anwendung nach Anleitung ist besonders auf eine ausreichende und gleichzeitig einzunehmende Flüssigkeitsmenge (1:10) zu achten.
Werden noch andere Arzneimittel genommen, so kann deren Aufnahme in den Körper und damit auch deren Wirkungsweise beeinträchtigt sein.
Bei entzündlichen Darmerkrankungen wird geraten, den Leinsamen nur in vorgequollenem Zustand einzunehmen. Ansonsten ist dies nicht empfehlenswert, denn das Aufquellen soll erst im Darm erfolgen.
Da Leinöl schnell verdirbt (ranzig wird), sollte zur innerlichen Einnahme nur möglichst frischer und kalt gepreßter Lein verwendet werden. Leinöl ist in einem luftdichten Gefäß kühl und dunkel aufzubewahren (etwa 6 Wochen haltbar).
Arzneidroge: Lini semen (Leinsamen)
Innerlich wird das Mittel angewendet bei habitueller Obstipation (= öfter auftretende Stuhlverstopfung); bei Beschwerden, die ein durch Abführmittelmißbrauch geschädigter Dickdarm (= Kolon) verursacht; bei Colon irritabile (= Dickdarmreizung) und Divertikulitis (= eine Form der Darmentzündung). Weitere Anwendung – in Form von Schleim – bei Gastritis (= Entzündungen der Magenschleimhaut) und Enteritis (Entzündungen des Dünndarms). Äußerlich nimmt man das Mittel bei lokalen Entzündungen (z. B. Hautkrankheiten, Juckreiz, Sonnenbrand).
Verwendet wird nur der getrocknete und reife Samen von Linum usitatissimum. In der Homöopathie und Volksmedizin nahm man früher auch den heute nicht mehr gebräuchlichen Purgier-Lein (L. catharticum).
Der Samen kann in verschiedenen Zustandsformen verwendet werden: unzerkleinert (= naturbelassen); aufgeschlossen (= angequetscht sind nur Cuticula und Schleimepidermis, d. h. die äußere Hülle); aufgebrochen (= wie aufgeschlossen, aber grob zerkleinert); geschrotet (= feiner zerkleinert); als Leinsamenmehl (= gemahlen); als Leinsamenschleim (= Epidermisschleim, nach Einlegen ins Wasser umgeben sich die Samen mit einer dicken Schleimhülle); als Leinkuchen (= Leinmehl, Preßrückstand bei der Gewinnung von Leinöl).
Zur innerlichen Anwendung nimmt man 2 bis 3 x täglich 1 Eßlöffel unzerkleinerten oder aufgeschlossenen Leinsamen zusammen mit jeweils ca. 150 ml Flüssigkeit (die Flüssigkeit ist sehr wichtig!). Zur Behandlung von Gastritis und Enteritis werden 2 bis 3 Eßlöffel geschroteter Leinsamen zur Herstellung eines Leinsamenschleims verwendet. Zur äußerlichen Anwendung braucht man 30 bis 50 g Leinsamenmehl oder Leinkuchen zur Herstellung eines Kataplasmas (= Breiumschlags) oder einer feucht-heißen Kompresse.
Herstellung eines feucht-heißen Leinsamen-Breiumschlags: Man füllt das Leinsamenmehl in ein kleines Säckchen (z. B. aus Mull), hängt dieses ca. 10 Minuten lang in heißes Wasser und legt es auf die erkrankte Stelle.
Leinsamen-Tee soll eine günstige Wirkung auf die Harnwege entfalten. Zur Zubereitung gibt man 1 bis 2 gehäufte Teelöffel Leinsamen auf 1/4 Liter kaltes Wasser. Dieses läßt man 20 Minuten stehen (gelegentlich umrühren) und gießt dann die Flüssigkeit ohne Auspressen ab. Zur Anwendung wird sie leicht erwärmt.
Leinöl-Quark-Diät (Krebsdiät, Budwig-Diät):
Ein Mittel gegen Krebserkrankungen vor allem im Darmbereich ist die sogenannte Leinöl-Quark- oder Krebsdiät. Hierbei nimmt man nur bestimmte Nahrungsfette, z. B. kaltgepreßte Pflanzenöle (vor allem Leinöl) und Butter- / Margarinesorten mit einem hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, aber keine hocherhitzten und chemisch veränderten Fette. Ergänzend kommt Milch in Form von Quark hinzu. Es sei betont, daß ein therapeutischer Erfolg, z. B. die Beeinflussung einer Tumorerkrankung, wissenschaftlich nicht nachgewiesen wurde.
Besonders in osteuropäischen Ländern wird das Leinöl noch heute als Speiseöl verwendet. Auch in Ostdeutschland haben sich einige Traditionen erhalten, z. B. im Spreewald, wo seit der Wende (in 15913 Straupitz, Laasower Straße) auch wieder eine funktionstüchtige Leinölmühle existiert. Zum Spruch „Leinöl und Quark machen den Spreewälder stark“ gehört folgendes Rezept: 500 g Magerquark mit 2-3 Eßlöffeln Milch und Sahne verfeinern, dann 3-4 Eßlöffel Leinöl, 2 gehackte Zwiebeln, Kümmel und Gartenkräuter (z. B. Petersilie, Schnittlauch) untermischen und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Leinölquark ist zusammen mit Pellkartoffe n ein vollwertiges Mittagessen, dient aber ebenso als Brotaufstich.
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Letzte Änderung: 5. Januar 2021
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: z. Z. in Arbeit (2021)
Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2020): Lein (Linum usitatissimum) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt, CH-Brunnen: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).
Bildnachweise
• Ägypt. Mumienkopf mit Leinen: Senckenberg-Museum, Frankfurt/M.
• Prähistorisches Leinengewebe: Freie Universität Berlin, Botanisches Museum;
• Verbreitungskarte Linum usitatissimum: Euro+Med PlantBase Project. Botanical Museum, Helsinki, Finland 2018; Data from BGBM Berlin-Dahlem, Germany. Source: World Checklist of Selected Plant Families (2010), © The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew;
alle übrigen Fotos und Abbildungen:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg
Zitierte Literatur
→ Standardwerke, Lehrbücher und weiterführende Literatur finden Sie im Literaturverzeichnis (home-Seite oder (http://www.kraeuterabc.de/literatur/)