Die Arznei-Engelwurz zählt mit bis 2,5 m Wuchshöhe zu den größten Stauden in der mitteleuropäischen Flora. Sie ist zwei- bis mehrjährig und verströmt einen aromatischen Duft. Ihre Stengel sind am Grund besonders dick, hohl und feingerillt, oben verzweigt und meist rötlich überlaufen. Während die unteren Blätter zwei- bis dreifach gefiederte Spreiten, runde Stiele und große, aufgeblasene Blattscheiden aufweisen, sind die oberen Stengelblätter kleiner und nur einfach gefiedert. Der bis 5 cm dicke und bis 30 cm lange Wurzelstock ist im ersten Jahr spindelförmig, später durch Bildung von Adventivwurzeln mehrköpfig, zeigt Längsfurchen, Querhöcker und ist fein gerillt. Er hat eine braungraue bis rötlichbraune Farbe, einen würzigen Geruch und scharfen Geschmack.
Im Sommer erscheinen grünlich oder gelblich gefärbte Blüten in großen 20- bis 40-strahligen, halbkugeligen Doppeldolden ohne Hüllblätter. Der aus zwei Fruchtblättern bestehende Fruchtknoten entwickelt sich – wie bei Doldengewächsen typisch – zu einer zweiteiligen Spaltfrucht, deren Teilfrüchte je einen Samen umschließen. Diese besitzen in ihren Längsrippen Ölgänge, die ätherisches Öl enthalten.
Bei der Arznei-Engelwurz hat jede Teilfrucht auf ihrer Außenseite drei Rippen mit kurzem Flügel. An diesen lassen sich die beiden Unterarten der Arznei-Engelwurz unterscheiden: Die Gewöhnliche Arznei-Engelwurz (A. archangelica archangelica) hat eine grünliche bis grün-gelbliche Krone und 6 bis 9 mm lange Früchte mit vorspringenden scharfen Rückenrippen; bei der Küsten-Arznei-Engelwurz (A. archangelica litoralis) ist die Krone grünlich-weiß und die nur 4,5 bis 6 mm langen Früchte haben nur wenig vorspringende, stumpfe Rückenrippen.
Neben der Arznei-Engelwurz werden noch drei weitere Angelica-Arten zu Heilzwecken verwendet:
Die Wilde Engelwurz (Angelica sylvestris) ähnelt der Arznei-Engelwurz. Sie wird bis 2 m hoch, ist ausdauernd und hat zwei- bis dreifach fiederteilige Blätter mit großen, bauchigen Blattscheiden. Der Blattstiel ist oberseits rinnenförmig und die Blüten sind weiß bis rosa (bei der Arznei-Engelwurz ist der Blattstiel rund und die Blüten sind weiß bis grünlich oder gelblich).
Die Chinesische Engelwurz (Angelica sinensis) kommt in China und Japan vor, wo sie auch kultiviert wird. Die Staude erreicht eine Wuchshöhe von bis zu 2 m und verströmt einen süßlich stechenden Duft. Ihre Stengel sind hohl und mit hellgrünen Fiederblättern besetzt; die Blütenstände weiß.
Die Sibirische Engelwurz (Angelica dahurica) ist in China, Japan, Korea und Rußland verbreitet. Sie kann bis zu 2,5 m hoch werden, hat große dreiteilige, aromatische Blätter und weiße Blütendolden. In den zentralen und östlichen Gebieten Chinas wird sie auch kultiviert.
Die Arznei-Engelwurz ist ursprünglich in Nord- und Osteuropa heimisch und wurde schon im Mittelalter auch in Mitteleuropa eingeführt. Mittlerweile ist sie fest eingebürgert (Neophyt) und breitet sich wildwachsend auch von selbst aus. Ihre Vorkommen erstrecken sich bis nach Westasien.
Die winterharte Arznei-Engelwurz gedeiht am besten auf feuchten und nährstoffreichen Böden in Wäldern, Wiesen und an Ufern. Auch die Wilde Engelwurz bevorzugt feuchte Standorte, vor allem aber in Wiesen und weniger in Wäldern. Der häufig verwendete Name „Wald-Engelwurz“ ist falsch („sylvestris“ bedeutet nicht „Wald“, sondern „wildwachsend“).
In Deutschland wurde die Engelwurz bereits im 16. Jh. im sächsischen Erzgebirge angebaut. Als Gewürz- und Heilpflanze wird sie in Mitteleuropa immer häufiger kultiviert. Wichtige Herkunftsländer sind Bulgarien und die Schweiz, aber auch Belgien, Frankreich, Italien, Tschechien und die Ukraine.
Die Engelwurz gilt seit jeher als Allheilmittel und sogar als heilig, was auch in den volkstümlichen Bezeichnungen „Heiliggeistwurz“, „Erzengelwurz“ und „Heiligenbitter“ zum Ausdruck kommt. Nach dem alten Kalender erblühte sie zum Fest des Erzengels Michael, der seine schützende Hand über diese Pflanze gelegt haben soll („Angelus“ = lat. Engel, „archangelus“ = Erzengel). Nach der Legende soll ein Mönch die wunderbare Heilwirkung der Pflanze von einem Engel im Traum erfahren haben. Im 16. Jahrhundert hielt man die Engelwurz als wirksam gegen die Pest. Kräuterexperten empfahlen, an einer in Essig getauchten Wurzel zu riechen, um sich vor Ansteckung zu schützen. Die Menschen sollte sie vor böser Zauberei und Geistern bewahren. Das Kraut fand auch Verwendung bei Geschwülsten, Lungenleiden und Herzschwäche.
In den nordeuropäischen Ursprungsländern und Island, Lappland und Sibirien war die Arznei-Engelwurz von jeher eine wichtige Heil- und Nutzpflanze. Sie wurde bei Erkrankungen des Magen-Darmtrakts, Lungen-und Bronchialleiden, Fieber, Gicht und Rheuma eingesetzt. In Zeiten von Hungersnöten suchte man den Mangel an Mehl zum Brotbacken durch Zugabe gemahlener Wurzeln auszugleichen. Noch heute verarbeiten die Lappen Stengel, Blattstiele und Wurzeln zu Gemüse.
In der chinesischen Medizin werden die verwandten Arten, Angelica sinensis (Chinesische Engelwurz) – auch als Dan Gui bekannt – und Angelica pubescens (Du Huo) zu Heilzwecken eingesetzt. Dan Gui zählt zu jenen Heilkräutern, die das Blut nähren und kräftigen sollen, was besonders für die Gesundheit der Frauen als wichtig erachtet wird („Frauenginseng, chinesischer Ginseng“). Die Chinesen verwenden das Kraut – nachgewiesen seit etwa 200 n. Chr – bei Menstruationsstörungen und Blutmangel sowie bei Brust- und Gelenkschmerzen. Bei Beschwerden im Unterkörper nimmt man die scharf und bitter schmeckende Angelica pubescens. Die Heilwirkung der Sibirischen Engelwurz (Angelica dahurica) – in China Bai Zhi genannt – ist ebenfalls schon lange bekannt. Nach Angabe des Soldatenarztes Zhang Congzheng (1150-1228) wirkt die Wurzel schweißtreibend und soll die Haut vor Leiden schützen, die durch äußere Einflüsse wie Kälte, Wärme, Feuchtigkeit und Trockenheit verursacht werden.
Angetan vom aromatischen Duft der Pflanze krönte man in Lappland die Dichter mit einem Kranz aus Engelwurzblättern, der sie inspirieren sollte. In Europa war die Duftnote besonders zur Zeit der Renaissance beliebt. Engelwurz-Blätter wurden verbrannt, um die Raumluft nicht nur angenehmer zu machen, sondern auch zu desinfizieren. Zum Waschen der Kleidung parfümierte man das Wasser mit einem Aufguß aus Engelwurz und anderen duftenden Kräutern (Rosmarin, Melisse, Lorbeer). Das Kraut gehört zu den Hauptingredienzen eines Parfüms, das unter dem Namen „Wasser der Karmeliterinnen“ bekannt ist. Es wurde im 16. Jahrhundert zum ersten Mal in einem französischen Karmeliterkloster hergestellt. Auch heute noch schätzt man den Duft der Engelwurz. Anstelle von Raumsprays werden wieder zunehmend die getrockneten Blätter aromatischer Kräuter – darunter auch jene der Engelwurz – in Duftpotpourris zusammengestellt. Häufig ist sie auch im Schnupftabak enthalten. Der aromatischste Teil der Pflanze ist die Wurzel.
Die Angelikawurzel enthält im frischen Wurzelstock und in den Wurzeln 0,1 bis 0,37 % (getrocknet 0,35 bis 1 %) ätherisches Öl mit Oxypentadenlacton als Hauptbestandteil; weiterhin die Cumarine Angelicin (Isopsoralen) und Osthenol mit Derivaten, Osthol und Umbelliprenin, Bitterstoffe (Sesquiterpene), Gerbstoffe und Pektin.
Die Inhaltsstoffe der Angelikawurzel wirken krampflösend. Sie fördern die Magensaftsekretion und helfen nicht nur bei funktionellen Störungen der Gallenwege, sondern auch gesunden Menschen nach einer fettreichen Mahlzeit.
Beim Sammeln der Pflanze besteht Verwechslungsgefahr mit anderen giftigen Doldengewächsen, vor allem dem Schierling.
Während der Schwangerschaft wird wegen der Stimulation des Uterus von einer regelmäßigen oder höheren Dosierung abgeraten.
Keine Anwendung auch bei Magen- und Darmgeschwüren.
Die in der Pflanze enthaltenen fluoreszierenden Furocumarine sind phototoxische Substanzen, d. h. sie bewirken eine erhöhte Lichtempfindlichkeit der Haut. Zusammen mit UV-Bestrahlung (Sonnenlicht) können Hautentzündungen auftreten, die auch als „Badedermatitis“ bekannt sind (Berührung mit dem Pflanzensaft auf frisch gemähten Wiesen). Auf längere Sonnenbäder oder intensive UV-Bestrahlung sollte bei der Verwendung von Angelica verzichtet werden.
Arzneidroge: Angelicae radix (Angelikawurzel)
Die Droge aus der Angelikawurzel wirkt bei Appetitlosigkeit und Verdauungsstörungen wie Völlegefühl und Blähungen, aber auch bei leichten Magen-Darm-Erkrankungen (Magen-Darm-Krämpfen).
Arzneidroge:Angelicae fructus (Angelikafrüchte) und Angelicae herba (Angelikakraut)
Kraut und Früchte der Angelika werden auch als harntreibendes und schweißtreibendes Mittel – z. B. bei Erkältung und Grippe – verwendet. Die Wirksamkeit ist nicht belegt.
In der Volksmedizin werden der Pflanze noch zahlreiche weitere Eigenschaften zugeschrieben. Sie soll bei Husten den Schleimauswurf fördern, bei Kreislaufbeschwerden den Blutfluß verbessern, die Leberfunktion fördern, Rheumatismus und Arthritis lindern, bei Menstruationsbeschwerden helfen und den Uterus stimulieren.
Die einheimische Wilde Engelwurz (A. sylvestris) wird – nur in der traditionellen Volksheilkunde – wie die Arznei-Engelwurz verwendet, vor allem aber als auswurfförderndes Mittel bei Husten.
Therapeutisch verwendet man nur die Wurzel (in der Volksmedizin dagegen die ganze Pflanze). Der Wurzelstock wird im Frühjahr oder im Herbst vorsichtig ausgegraben und danach in der Sonne oder im Backofen bei mäßiger Temperatur getrocknet. Die Wurzeln sind in einem gut verschlossenen Behältnis aufzubewahren, denn sie werden häufig von Insekten befallen.
Empfohlen wird eine Tagesdosis von 4,5 g der zerkleinerten Droge, 1,5 bis 3 g Fluidextrakt (1:1) oder 1,5 g Tinktur (1:5) – auch in entsprechenden Zubereitungen – oder 10 bis 20 Tropfen ätherisches Öl (in größeren Dosen giftig!).
Die Blätter pflückt man vor der Blüte, verwendet sie frisch oder läßt sie in der Sonne trocknen. Zur Aufbewahrung haben sich Stoffsäckchen bewährt. Die reifen Früchte werden ebenfalls getrocknet und in verschließbaren Gläsern aufbewahrt.
In der Homöopathie ist die Engelwurz kaum gebräuchlich. In homöopathischen Dosen werden bei Verdauungszuständen und nervlicher Erschöpfung lediglich die Samen verabreicht.
Angelikaöl wird auch in der Likörfabrikation verwendet. Es ist z. B. Bestandteil im „Chartreuse“ und im Bitterlikör „Angostura“. Der polnische Likör Jarzebiak wird u. a. mit Engelwurz aromatisiert. Die Pflanze bewirkt auch den charakteristischen Geschmack des Benediktinerlikörs („Benedictine“). Angelica ist ebenso ein Bestandteil des mit Heidelbeersaft aromatisierten Kräuterlikörs „Stonsdorfer“, hergestellt seit 1801 im Riesengebirge und ab 1957 in Schleswig-Holstein.
In der Volksmedizin nimmt man gegen Verdauungsbeschwerden Angelikawein. Zur Zubereitung übergießt man etwa 50 g fein geschnittene Angelikawurzeln mit 1 Liter Weißwein und läßt das Gemisch in einem verschließbaren Glasgefäß etwa 5 Tage stehen. Die Flüssigkeit wird abgeseiht und in Flaschen mit festem Verschluß gefüllt. Bei Bedarf kann man täglich ein Gläschen davon trinken.
Für einen Tee wird 1 Teelöffel zerkleinerte Angelika-Wurzel auf 1 Tasse kaltes Wasser über Nacht angesetzt. Am nächsten Tag kurz aufkochen und abseihen. Man nimmt etwa 1 Tasse pro Tag. Alternativ läßt sich auch das Angelika-Kraut verwenden: 1 Teelöffel auf 150 ml kochendes Wasser und 10 Min. ziehen lassen; 2-3 Tassen täglich.
Die junge Triebe und Wurzelstücke der Engelwurz werden kandiert zum Dekorieren von Torten oder Süßspeisen verwendet.
Der Stärkung des Organismus soll ein Bad mit Angelika-Tee dienen (nur abends anzuwenden). Hierzu gibt man gibt 3 Liter Angelika-Tee zum Badewasser. Es wird gesagt, ein Bad von 20 Min. Dauer ließe erschöpfte Menschen wieder zu Kräften kommen.
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Letzte Änderung: 10. Januar 2021
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: z. Z. in Arbeit (2021)
Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2018): Engelwurz (Angelica archangelica) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt in Brunnen/Schweiz: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).
Bildnachweise
• Engelwurz-Zeichnung: aus Leonhart Fuchs, New Kreüterbuch. Basel 1543;
• Verbreitungskarte Angelica archangelica: Euro+Med PlantBase Project. Botanical Museum, Helsinki, Finland 2018; Data from BGBM Berlin-Dahlem, Germany. Source: World Checklist of Selected Plant Families (2010), © The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew;
alle übrigen Fotos:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg
Zitierte Literatur
→ Standardwerke, Lehrbücher und weiterführende Literatur finden Sie im Literaturverzeichnis (home-Seite oder (http://www.kraeuterabc.de/literatur/)