Die Große Brennessel Urtica dioica ist eine bis zu 2,5 m hohe Staude mit vierkantigen Stengeln und gegenständigen, eiförmig-länglichen, am Rande gesägten Blättern. Stengel und Blätter sind mit Brennhaaren besetzt (Urtica von lat. „urere<“ = brennen). Männliche und weibliche Blüten befinden sich auf unterschiedlichen Pflanzen (dioica = zweihäusig). Die Kleine Brennessel Urtica urens ist kleinwüchsiger, einjährig und einhäusig, d. h. die Blüten beiderlei Geschlechts befinden sich gemeinsam an den rispenartigen Blütenständen.
Auf den Blättern stehen Brennhaare mit verkieselten Köpfchen, die bei Berührung abbrechen. Übrig bleibt eine scharfkantige Spitze. Sie dringt in die Haut ein und injiziert eine brennende Flüssigkeit. Ein Hautkontakt mit der Kleinen Brennessel schmerzt stärker als mit der Großen Brennessel.
Verwandte Arten der Großen und Kleinen Brennessel sind u. a. die sehr seltene Röhricht- oder Sumpf-Brennessel Urtica kioviensis und die nicht einheimische Pillen-Brennessel Urtica pilulifera. Sie wird hin und wieder aus südeuropäischen Ländern eingeschleppt (erkennbar sie an den kugeligen weiblichen Blütenständen).
Die Sibirische Brennnessel (Urtica cannabina) ist in Russland und Asien (u. a. Mongolei, China, Iran) verbreitet und diente dort als Faserpflanze (Seile, Garne, Netze, Tücher).
Bedeutung als Heil- und Küchenkräuter haben nur die Große und Kleine Brennessel und deren Hybriden.
Die Große Brennessel ist sehr häufig und hat sich in den gemäßigten Zonen weltweit ausgebreitet. Die Kleine Brennessel ist seltener, aber ebenfalls weit verbreitet.
Beide Arten sind stickstoffliebend. Üppige Brennesselfluren findet man daher vor allem im Umkreis von Siedlungen, an Schuttplätzen und Wegrändern. Die Große Brennessel liebt frische bis feuchte Standorte und ist auch in Auenwäldern, an Gräben, Bach- und Flußufern anzutreffen. Die Kleine Brennessel wächst zerstreut in Unkrautfluren und auf frischen, nährstoffreichen Böden.
Im biologischen Gartenbau gilt Brennesseljauche als natürliches Insektenschutzmittel zur Bekämpfung von Schädlingen an Kulturpflanzen und dient zudem als Pflanzendünger. Hergestellt wird sie durch Gärung der Brennesselpflanzen in Regenwasser (zwei Wochen stehen lassen und abseihen).
In der Viehzucht finden frische Blätter als Kükenfutter und getrocknete Pflanzen als eiweißreiches Winterfutter Verwendung.
Die Brennessel wurde schon im Altertum als Heilkraut geschätzt. Der griechische Arzt Dioskorides (1. Jh. n. Chr.) verwendete die Pflanze u. a. bei infizierten Wunden, krebsartigen Geschwüren, Furunkeln und Hautkrankheiten sowie bei Lungenentzündung und Nasenbluten. Hildegard von Bingen (1098-1179) empfahl die Anwendung bei Altersbeschwerden, allergisch bedingten Hautausschlägen, Ekzemen und Erschöpfungszuständen. Paracelsus (1493-1541) wandte sie gegen Gelbsucht, Husten, Wassersucht und bösartigen Geschwüren an. Seit alters her werden junge Sprosse und Blätter als Salat, in Suppen oder als Gemüse verwendet. Die blutreinigende Wirkung von Brennesselgemüse betonte Pfarrer Kneipp (1821-1897).
Brennesselsamen galten schon immer als Aphrodisiakum und waren in den mittelalterlichen Klöstern streng verboten. Der sexuellen Stimulation diente auch das Peitschen mit frischen Brennesseln (Begriff der „brennenden Liebe“); die sogenannte „Urtikation“ förderte die Durchblutung und war damit gleichfalls als Heilmittel bei Rheuma, Gicht und Lähmungen empfohlen. Daß sich Caesars Legionäre während der Nachtwachen im kalten Germanien durch Peitschen mit Brennesseln ihre Körper wärmten, wird oft erzählt und selten geglaubt. Eine andere Legende berichtet von dem nordeuropäischen Brauch, sich zur Zeit der Sommersonnenwende gegenseitig mit uringetränkten Brennesselsprossen zu schlagen, um das ganze Jahr gesund und fruchtbar zu bleiben. Prognosen über einen künftigen Krankheitsverlauf ließen sich recht einfach stellen, indem man den Urin des Kranken über eine Brennessel goß. Blieb diese grün, würde der Patient schon bald genesen, welkte sie dagegen, gab es keine Hoffnung mehr.
Bis Mitte des 17. Jhs. verwendete man die Stengel der Großen Brennessel zur Fasergewinnung und stellte daraus Nesseltuch, Garn, Stoffe, Schiffstaue und Fischernetze her. Als im Ersten Weltkrieg die Einfuhr von Baumwolle aufgrund des Handelsembargos zum Erliegen kam, lebte die Tradition der Herstellung von Nesselstoff noch einmal auf. Durch Züchtung neuer Sorten erzielte man eine wesentlich höhere Faserqualität. Das Verfahren war jedoch zu teuer und wurde wieder eingestellt.
Der Fasergewinnung dienen auch die asiatische Hanfnessel (Urtica cannabina) und die in den Tropen und Subtropen beheimatete und ebenfalls zur Brennesselfamilie zählende Ramie (Boehmeria nivea). Ihre gebleichten Rohfasern sind als „Chinagras“ bekannt.
Im alten Ägypten diente das Öl der Brennesselsamen als Brennstoff, besonders für Lampen. Der Extrakt aus gekochten Brennesselwurzeln eignet sich zum Gelbfärben von Textilien, nachdem diese mit Beizmittel (abkochen mit Alaun) vorbehandelt wurden. Durch Abkochen der Blätter und Stiele erhält man einen haltbaren grünen Farbstoff.
Kraut und Blätter enthalten als Hauptwirkstoffe Flavonoide und Mineralsalze, insbesondere Kalium- und Kalziumsalze. Die Spitzen der Brennhaare bestehen aus Kieselsäure. Hauptwirkstoffe im Sekret der Brennhaare sind Histamin, Acetylcholin, Serotonin, Spuren von Ameisensäure und ein Nesselgiftstoff. Die Wurzel enthält u. a. 3-ß-Sitosterin und -glucoside sowie Scopoletin.
Brennesselkraut und -blätter bewirken, wahrscheinlich aufgrund der Flavonoide und des Kaliumgehalts, eine Durchspülung der ableitenden Harnwege (harntreibende Wirkung: Erhöhung der Harnmenge, Erniedrigung der Restharnmenge); weiterhin wird auch Nierengrieß vorgebeugt. Die Wirkstoffe der Brennessel verbessern den Behandlungserfolg bei rheumatischen Beschwerden.
In mehreren wissenschaftlichen Arbeiten ist die positive Wirkung der Brennesselwurzel im Anfangsstadium einer gutartigen Prostatavergrößerung (Stadium I und II) nachgewiesen (Wirkung durch Verbesserung des Harnflusses und Erniedrigung der Restharnmenge). Es werden jedoch – ohne die Vergrößerung zu beheben – nur die Beschwerden gelindert. Bessere Wirksamkeit bei Prostataleiden erzielt man mit der Kombination von Brennesselwurzel mit Sägepalmenextrakt (hierzu ist ärztlicher Rat einzuholen).
Die Brennessel soll man bei Wasseransammlungen aufgrund von eingeschränkter Herz- und Nierentätigkeit nicht verwenden.Starker Kontakt mit Brennesselhaaren führt auf der Haut zur Blasenbildung (evtl. Handschuhe tragen). Bei getrockneten oder gekochten Pflanzen ist die Wirkung verschwunden.
Beim Verzehr der frischen Pflanze oder von Pflanzenextrakten können gelegentlich leichte Magen-Darm-Beschwerden auftreten (gekochte junge Pflanzen sind völlig unbedenklich). Allergien sind selten, doch die Pollen zählen in der Sommerzeit zu den Mitauslösern des Heuschnupfens.
Oft zitierte Berichte, dass mit Brennesseln mißhandelte Kinder daran verstorben sein sollen, sind nicht überprüfbar, da noch weitere oder andere Verletzungen als Grund nicht auszuschließen sind.
Arzneidrogen: Urticae herba (Brennesselkraut) und Urticae folium (Brennesselblätter)
Anwendung bei entzündlichen Erkrankungen der Harnwege und zur Vorbeugung bei Nierengrieß (= Harngrieß, kleinere und kleinste Harnkonkremente) sowie zur unterstützenden Behandlung rheumatischer Beschwerden.
Arzneidroge: Urticae radix (Brennesselwurzel)
Anwendung im Anfangsstadium einer gutartigen Prostatavergrößerung. Mit der Brennesselwurzel kann man Prostatabeschwerden nur lindern, die Prostatavergrößerung aber nicht beheben. Zur Diagnose und Behandlung ist in regelmäßigen Abständen ein Arzt aufzusuchen.
Brennesselkraut und -blätter werden während der Blüte gesammelt und frisch oder getrocknet verwendet. Die mittlere Tagesdosis beträgt 8 bis 12 g Droge; Zubereitungen entsprechend.
Die Wurzel wird im Herbst geerntet und für Zubereitungen, z. B. Aufgüsse oder Tees, zerkleinert. Die mittlere Tagesdosis beträgt 4 bis 6 g Droge; Zubereitungen entsprechend.
In der volkstümlichen Heilkunde kommen auch die Brennesselsamen in Pulverform oder als Zubereitung (Wein, Öl) zur Anwendung. Sie sollen Stoffwechselvorgänge aktivieren und die körpereigene Abwehr stärken und werden vor allem älteren Menschen empfohlen (Stärkungsmittel). Die reinigende und entgiftende Wirkung der Brennessel sei ein Mittel gegen Entzündungen der Harnwege, Rheuma und Gicht; die blutstillende gegen Menstruationsbeschwerden, Wunden oder Nasenbluten. Gegen Verbrennungen durch die Brennhaare der Brennessel oder bei Sonnenbrand nimmt man Brennesselsaft. In der Homöopathie wird überwiegend – aber nicht ausschließlich – die Kleine Brennessel verwendet; auch das Homöopathikum heißt Urtica oder Urtica urens.
Vor dem Erlaß des Reinheitsgebots fügte man vielerorts dem Bier auch Brennesseln zu. In England gibt es heute noch Nesselbier (Nettle beer), das besonders älteren Menschen mit rheumatischen Beschwerden sehr gut bekommen soll. Hierzu werden eine Mischung aus jungen Brennesselblättern (1 Eimer voll), Löwenzahnblättern Taraxacum sp. und Klebkraut Galium aparine (jeweils eine kleine Schüssel voll) zusammen mit einem kleinen Stück Ingwer in 8 Liter Wasser gegeben und 45 Min. gekocht. Man läßt die Flüssigkeit etwas abkühlen und rührt noch lauwarm 2 Tassen braunen Zucker und 30 g Brauereihefe darunter. Nach 7 Stunden warm halten wird der Schaum abgeschöpft, 1 Teelöffel pulverisierter Weinstein (Kaliumhydrogentartrat) dazugegeben und umgerührt. Das fertige Bier füllt man in saubere (mit kochendem Wasser ausgespülte) Flaschen, die fest verschlossen werden.
Brennessel in Form von Schnaps soll gegen Rheuma, Gicht und Arthrose helfen. Das Rezept für „Rheumageist“: Blätter von Brennesseln, Johanniskraut und Berberitze werden zu gleichen Teilen (je 20 g) mit Pappelrinde (10 g) in eine Flasche gegeben. Diese füllt man mit 1 Liter Wodka auf und stellt sie an einen warmen Platz. Die Flüssigkeit ist täglich zu schütteln und wird nach zwei Wochen filtriert. Empfohlene Dosierung: 2 x tgl. 10 ml.
Die Brennessel wirkt blutreinigend und belebend. Sie ist daher Bestandtteil spezieller Teemischungen aus Blättern oder Wurzeln.
Tee zur Linderung rheumatischer Beschwerden und Arthritis: Etwa 1 gehäufter Eßlöffel zerkleinerte Brennesselblätter oder -wurzeln mit 1/4 l kochendem Wasser übergießen, 5 Minuten weiterkochen lassen und dann die Pflanzenteile abfiltern. Dosierung: 2 x tgl. 1 Tasse.
Im Frühjahr werden die jungen Blätter für den Verzehr als Salat, Gemüse oder Zusatz in Suppen geerntet.
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Letzte Änderung: 3. März 2018
Letzte inhaltliche Änderung/Überprüfung: z. Z. in Arbeit (2021)
Zitierweise:
Pelz, Gerhard Rudi & Birgitt Kraft (2018): Brennnessel (Urtica dioica, Urtica urens) – in: Kräuter-ABC, Website der Stiftung zur internationalen Erhaltung der Pflanzenvielfalt in Brunnen/Schweiz: www.kraeuterabc.de (abgerufen am ……).
Bildnachweise
alle Fotos:
© Dr. Gerhard Rudi Pelz, Petersberg
Zitierte Literatur
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